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Die Reise nach Lesbos - eine erste Bilanz

Die Unsichtbaren sichtbar machen

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Eine sechsköpfige Gruppe unter Leitung der Pfarrerin für Friedensarbeit in der EKHN Sabine Müller-Langsdorf hat sich eine Woche lang auf der griechischen Insel Lesbos über die Situation der Flüchtlinge nach dem Abkommen zwischen der EU und der Türkei informiert. Im Interview zieht Pfarrerin Müller-Langsdorf Bilanz.

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Die Lage der Flüchtlinge auf Lesbos ist eine andere als vor einem Jahr. Damals setzten täglich mehrere hundert oder tausende auf Schlauchbooten von der Türkei nach Griechenland über. Heute sind es nur noch sehr wenige, die den Weg nach Europa schaffen. Was ist für Sie der entscheidende Unterschied?

Pfarrerin Müller-Langsdorf: Die Flüchtlinge sind weitgehend von der Bildfläche verschwunden. Wer hier auf die Insel kommt, kann sich im Grunde kein eigenes Bild mehr machen. Es sei denn, man geht direkt in die Flüchtlingslager, sofern man dort Zutritt bekommt. Ich denke, das entspricht genau der EU-Politik und das ist das gewünschte Ergebnis des so genannten Deals mit der Türkei. Die Grenzen schließen, die Flüchtlinge nicht nach Europa lassen und wenn sie dennoch Europa erreichen sie hinter Mauer und Stacheldraht wegschließen wie im Lager Moria hier auf Lesbos und sie dann in die Türkei zurückschieben. Pro Asyl hat darauf hingewiesen, dass die Genfer Flüchtlingskonvention in der Türkei nur eingeschränkt gilt. Das Land hat die Konvention nur mit einem so genannten „geographischen Vorbehalt“ unterzeichnet. Für Menschen, die aus Ländern wie Syrien, Irak oder Afghanistan fliehen, gilt sie nicht.

Worin sehen Sie die Aufgabe der Flüchtlingsinitiativen und auch der Kirche?

Es gibt in Griechenland 40 Internierungslager für Flüchtlinge. Die meisten befinden sich auf dem Festland. Wir sollten unsere Augen offenhalten, wenn Menschen weggesperrt werden oder sich verstecken und untertauchen. Wir müssen genau hinsehen und gucken, was an Unrecht geschieht auf europäischem Boden und immer wieder auf die Wahrung der Menschenrechte und der Würde jedes Einzelnen pochen – ganz gleich aus welchem Land jemand kommt und was welchen Gründen, jemand geflüchtet ist. Die Flüchtlinge werden systemisch unsichtbar gemacht. Und wir sollten sie sichtbar machen.

Was kann konkret getan werden?

Mir ist aufgefallen, dass es eine breite Solidarität mit den Flüchtlingen gibt. Als Kirche halte ich es für sinnvoll, sich mit den Menschen zusammenzutun, die den Gerechtigkeits- und Menschenrechtsgedanken ernst nehmen. Dazu ist ein europaweites Netzwerk sinnvoll. Die Insel Lesbos ist in zweierlei Hinsicht ein Symbol der europäischen Flüchtlingspolitik. Zum einen mit Blick auf die vielen Freiwilligen aus aller Welt, die helfen wollen und denen das Schicksal der Flüchtlinge nicht gleichgültig ist. Zum anderen mit Blick auf den EU-Türkei-Deal, der die Flucht nach Europa verhindern soll. Lesbos wäre ein guter Ort, das systematische Unrecht einer auf Abschottung und Abschiebung zielenden Flüchtlingspolitik anzuprangern und zugleich ein Flüchtlingsprojekt zu unterstützen, das sich für Gerechtigkeit und Menschenwürde einsetzt. Und es gibt viele gute Projekte auf Lesbos.

Nach Lage der Dinge ist die Flüchtlingsfrage kein Thema, das in wenigen Monaten abgeschlossen sein wird. Welchen Herausforderungen müssen wir uns stellen?

Die Politik muss deutlich machen, dass das Thema Flucht eine Jahrhundertherausforderung ist und nicht kurzfristig gelöst werden kann, schon gar nicht mit der Ausrufung so genannter sicherer Herunftsländer. Wir müssen akzeptieren, dass Menschen fliehen werden und Schutz suchen, solange sie handfeste Fluchtgründe haben. Fluchtursachen sind Krieg, Gewalt, Vertreibung, aber auch der die Ressourcenknappheit oder die Erderwärmung. Es wird Klimaflüchtlinge geben. So wie sich die Situation jetzt darstellt, wird es in Zukunft eher mehr Flüchtlinge geben als weniger. Das ist sicherlich keine frohe Botschaft und ich habe auch keine Lösung. Es ist eine Herausforderung, die nur global gelöst werden  kann. Aber die Lösung kann nicht darin bestehen, Menschen aufs Meer zu treiben und sie dann, sofern sie überleben, wieder zurückzuschicken. Was wir brauchen, sind legale Möglichkeiten der Zuwanderung.

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