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Blog aus Lesbos

Eine Gedenktafel und ihre Geschichte

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Eine sechsköpfige Gruppe unter Leitung der Pfarrerin für Friedensarbeit in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) Sabine Müller-Langsdorf hält sich zurzeit auf der griechischen Insel Lesbos auf. Sie informiert sich dort über die Situation der Flüchtlinge nach dem Abkommen zwischen der EU und der Türkei und führt Gespräche mit Nichtregierungsorganisationen, Flüchtlingsinitiativen und kirchlichen Vertretern. Berndt Biewendt schildert seine Eindrücke zur Lage vor Ort.

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Das darf  nicht wahr sein! Dieser Gedanke ging wohl allen in der Gruppe durch den Kopf, als wir am ersten Tag auf Lesbos die Gedenkstätte für die im Mittelmeer ertrunkenen syrischen Familien besuchten. Sie ist als Kinder-Memorial bekannt und steht bzw. stand am Strandufer in der Nähe des Dorfes Thermi etwa zwölf Kilometer nördlich der Inselhauptstadt Mytilini. Sie erinnert an die zehn Mitglieder der beiden Familien, die am 14. Dezember 2012 auf ihrem Weg über das Mittelmeer ertranken. Ihre Leichname wurden an dieser Stelle an den Strand gespült. Als wir die Stelle des Memorials aufsuchten, war die Gedenktafel verschwunden. Wir fanden sie achtlos weggeworfen hinter einem Haufen mit Bauschutt.

Bereits vorher waren Flüchtlinge auf ihrem Weg von der Türkei zu einer der griechischen Inseln ums Leben bekommen. Das Entsetzen war im Dezember vor vier Jahren deshalb so groß, weil erstmals Kinder unter den Opfern waren. Die jüngsten waren sechs und drei Jahre alt. Auf Initiative von Fischern des Ortes und von internationalen Freiwilligen wurde das Mahnmal errichtet. Sie hatten damals mit großen Aufwand die Namen der Toten ausfindig machen können und Geld gesammelt, damit Angehörige an der Trauerfeier teilnehmen können. „Eine beeindruckende Haltung von Menschlichkeit“, meinte Pfarrerin Müller-Langsdorf. Und nun das! Achtlos weggeworfen neben und wie Bauschutt. Auf der Gedenktafel sind die Namen und das Alter der Ertrunkenen verzeichnet. Sie wird von zwei gekreuzten Paddeln gehalten. Wir richten sie mit Blick und in Sichtweite auf die zwölf Kilometer entfernte Türkei - so gut es ging - wieder auf.

Was ist geschehen? Wir fragten nach. Ioannis, der in der Nähe des Memorials ein kleines Hotel betreibt und mit seiner Frau immer wieder Flüchtlinge unterstützt, wusste nichts von dem Vorfall. Er erklärte aber, dass das gesamte Gelände am Memorial neu gestaltet worden sei. Dabei sei zugesichert worden, dass die Gedenktafel integriert werde. Entweder sei sie mutwillig entfernt worden oder sie solle neu befestigt werden. Wie auch immer. Ioannis gibt sich optimistisch, dass das Memorial wieder hergestellt wird. Auf dem neu gestalteten Gelände wurde unter anderem ein Spielpatz angelegt. Wenn das Memorial tatsächlich wieder fest steht, können Kinder dort auf Griechisch und Englisch lesen: „Wir werden niemals vergessen“.

Gott, wir bringen vor  Dich unsere Klage um die Toten,
gestrandet an unseren Grenzen,
gestorben auf der Flucht durch Wüsten, Gebirge und Meere.
Wir rufen zu Dir und stimmen ein in den Schrei all derer,
die Gerechtigkeit und ein besseres Leben suchten und dabei umkamen.

Gott, wir bringen vor Dich unsere Scham
über unser Wegsehen und Schweigen.
Wir sind satt in Europa – und sehen nicht,
dass auch wir die Ursache für den Hunger schaffen.
Wir sind unersättlich – und sehen nicht, dass dies die Ursache vieler Kriege ist.
Wir schweigen, wo wir uns einsetzen müssten.

Auszug aus einem Fürbittengebet gesprochen am Kinder-Memorial auf Lesbos

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