Eröffnung der Ausstellung "Fremde. Heimat"
Niemand ist freiwillig auf der Flucht
E. ThielmannFH-Eröffnung03.11.2015 bbiew Artikel: Download PDF Drucken Teilen Feedback
Selten war das Publikum im Haus der Kirche so bunt gemischt und selten verliefen die Gespräche so angeregt wie bei der Eröffnung der Ausstellung. Ein junger Flüchtling aus dem Irak traf auf einen Rentner, der aus dem Egerland stammt, zwei somalische Frauen machten Bekanntschaft mit Russlanddeutschen und eine afghanisches Mädchen unterhielt sich mit einem Heimatvertriebenen aus Ostpreußen. Bei allen Unterschieden macht die Ausstellung eines deutlich: niemand begibt sich freiwillig auf die Flucht, niemand verlässt aus freien Stücken seine Heimat.
„Für einige waren Flüchtlinge alles Pollacken"
Für die Ausstellung wurden 17 Menschen befragt, die zu unterschiedlichen Zeiten geflüchtet sind und heute in der Region Bergstraße leben. Heimatvertriebene, die nach dem 2. Weltkrieg hierher gekommen sind und als Deutsche zwar keine Sprachschwierigkeiten hatten, aber oft nicht willkommen waren. Der heute 85jährige Alois Holdschick stammt aus dem Egerland und lebt seit 1946 in Lorsch. Er berichtet: „Für einige waren Flüchtlinge alles Pollacken. Meine Frau, die ich 1957 heiratete, ist eine gebürtige Lorscherin. Als ich sie kennenlernte, wurde ihr vorgeworfen: ‚Was, du gehst mit einem Flüchtling? Hast wohl sonst nichts gefunden‘.“
"Ich hatte solches Heimweh"
Zu Wort kommen auch Menschen, die vor 10, 20 oder 30 Jahren nach Deutschland geflohen sind wie die 43jährige Aster Walter, die aus Eritrea stammt und 1991 zunächst in einer Flüchtlingsunterkunft in Grasellenbach im Odenwald lebte. „Ich konnte kein Deutsch, hatte keine Kontakte und der Winter war bitter kalt. Ich hatte solches Heimweh, dass ich schon bereute, hierher gekommen zu sein. Gerade weil ich aus eigener Erfahrung weiß, wie es Menschen geht, die allein in ein fremdes Land kommen, engagiere ich mich heute in einer Flüchtlingsinitiative.“
„Unser Boot hat das Land erreicht“
Es wurden auch Flüchtlinge befragt, die aktuell nach Deutschland gekommen sind und bei ihrer Flucht ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben. Idil Mohamud, ist aus Somalia geflohen. „Ich habe als Kellnerin gearbeitet. Männer von den Al-Shabaab-Milizen drohten mir, sie würden mich töten, wenn ich weiter für den Feind arbeite. Diese Männer haben dann nach mir gesucht und sie haben meine Zwillingsschwester ermordet.“ Die 23jährige hat über den Sudan und Kenia Libyen erreicht. Von dort wollte sie weiter über das Mittelmeer. „Mit vielen anderen sind wir in Boote gestiegen. Es waren zwei. Wir waren eine Woche auf dem Meer. Ein Boot ist gekentert. Ich weiß nicht, was mit den Menschen geschehen ist. Wir konnten nicht helfen, wir konnten nichts tun. Unser Boot hat das Land erreicht.“
„Ihr sollt Fremde nicht unterdrücken"
Bei der Eröffnung erinnerte Dekan Arno Kreh daran, dass der Schutz von Fremden ein biblisches Gebot ist. „Auch das Volk Israel im Alten Testament kennt die Erfahrung von Fremde und Unterdrückung. Eines Tages ist das Maß voll in Ägypten, sie halten es nicht mehr aus. Sie machen sich auf den mühevollen Weg in die Freiheit, selbst ein Meer kann sie nicht aufhalten. Eigentlich sind sie Wirtschaftsflüchtlinge, das Land der Verheißung ist für sie ‚das Land, in dem Milch und Honig fließen‘. Der Anfang dort war nicht leicht, aber die Erfahrung der Fremde haben sie nie vergessen. Und immer wieder wurde es einer neueren Generation vermittelt: „Ihr sollt Fremde nicht unterdrücken, denn ihr seid selbst fremd gewesen in Ägyptenland!“
Brigitte Sattler vom Bergsträßer Kreisverband der Landmannschaft der Ostseedeutschen lobte die Konzeption der Ausstellung, weil sie Flucht und Vertreibung zu unterschiedlichen Zeiten zusammenbringe. „Wir danken dafür, dass auch die Heimatvertriebenen von vor 70 Jahren gefragt wurden und erzählen dürfen.“
Grußwort des Kirchenpräsidenten
Für die Broschüre zur Ausstellung hat der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Volker Jung, ein Grußwort beigesteuert, in dem er betont: „Es geht darum, Migration und Integration politisch klug zu gestalten. Das ist keine einfache Aufgabe. Es ist auch keine vorübergehende Aufgabe, sondern eine Aufgabe, die uns für die nächsten Jahre und Jahrzehnte herausfordern wird. Viele gute humanitäre, ökonomische und demographische Gründe sprechen dafür, dass Deutschland diese Aufgabe zuversichtlich angehen kann.“
Die Ausstellung „Fremde. Heimat“ ist bis Ende Januar 2016 im Haus der Kirche zu sehen. Öffnungszeiten von 9.30 bis 12.00 und 13.30 bis 16.00 Uhr oder nach Vereinbarung. Bei Bedarf werden Führungen angeboten.
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