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Holocaust-Gedenktag

"Aufgerufen, die andere Geschichte zu erzählen"

bbiew

In der Bundesrepublik ist der 27. Januar seit 1996 offizieller Gedenktag für die Opfer der NS-Herrschaft. An diesem Tag im Jahr 1945 waren die überlebenden Häftlinge des Vernichtungslagers Auschwitz von sowjetischen Soldaten befreit worden. Wie jedes Jahr hat der Bergsträßer Kreisverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft am Holocaust-Gedenktag zu einer Kundgebung am "Stolperstein-Mahnmal" in der Bensheimer Fußgängerzone aufgerufen. Neben Gewerkschaftsvertretern und der Initiative Vielfalt hat auch die Referentin für gesellschaftliche Verantwortung des Evangelischen Dekanats Bergstraße, Sabine Allmenröder einen Redebeitrag beigesteuert, den wir hier im Wortlaut dokumentieren.

bbiewSabine Allmenröder bei ihrer Rede am Stolperstein-Mahnmal

„Packen wir die Koffer?“

Diese Frage stellte Charlotte Knobloch, die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, bei ihrem Besuch der Geschwister-Scholl-Schule hier in Bensheim. Mit Blick auf den Anschlag auf die Synagoge in Halle und die Morde in Hanau fügte sie hinzu: „Ich hätte nicht gedacht, dass diese Frage heute noch einmal gestellt wird.“ Beleidigungen, Beschimpfungen, Bedrohungen seien wieder Teil des jüdischen Alltags in Deutschland. 

Ihre Rede vor den Schülerinnen und Schülern der Geschwister-Scholl-Schule hielt Frau Knobloch am 2. März 2020  - wenige Tage vor dem ersten Lockdown. Sie hätte damals vermutlich auch nicht gedacht, dass sich kurze Zeit später Impfgegner einen Judenstern an die Brust heften oder behaupten, sie fühlten sich wie Sophie Scholl. Kaum vorstellbar auch, dass Impfgegner - wie neulich an einer unserer Kirchen – heimlich ein Plakat anbringen mit der Aufschrift „Für Juden und Ungeimpfte kein Zutritt“.

Das alles könnte man als absurdes Zeug von Verwirrten abtun. Doch hinter diesen Behauptungen verbirgt sich eine Verschwörungserzählung, die den Nationalsozialismus verharmlost und den Holocaust relativiert. Diesen Lügen und Verschwörungstheorien müssen wir entgegentreten.

Am Ende ihres Vortrags in der Geschwister-Scholl-Schule rief Charlotte Knobloch den Schülerinnen und Schülern zu: „Den Feinden der Demokratie dürfen wir nicht das Feld überlassen.“ Sie hat für sich entschieden, die Demokratie zu verteidigen und nicht die Koffer zu packen. Sie sagte: „Ich lebe hier, ich bleibe hier. Das ist mein Land.“

„Das ist mein Land“ – dachten in den 1920er Jahren in Deutschland auch viele Jüdinnen und Juden. Seit 1871 waren sie rechtlich gleichgestellt, viele hatten im 1. Weltkrieg für Deutschland gekämpft, sie gingen ihrer Arbeit nach, zahlten Steuern. Sie dachten, sie gehörten dazu.

Wie konnte es dazu kommen, dass unsere Großeltern es hinnahmen, dass ihre Nachbarn aus ihrer Mitte weggeholt wurden? Dass sie in Viehwaggons in Arbeitslager und schließlich direkt zur Vernichtung in die Lager im Osten gebracht wurden. Wieso haben unsere Großeltern da mitgemacht? Sind zu den Auktionen gegangen, bei denen das Hab und Gut der Deportierten versteigert wurde? Sind in die frei gewordenen Häuser eingezogen?

Sie haben sich aufhetzen lassen. Haben pseudowissenschaftlichen Lügen und Verleumdungen geglaubt und sie bereitwillig weiter erzählt. Sie haben ihr Mitgefühl, ihre Solidarität und ihre Mitmenschlichkeit aufgegeben und Neid, Hass und Hetze die Oberhand gewinnen lassen; in sich und in ihrer Umgebung.  

Im Internet und in den Sozialen Netzwerken verbreiten Menschen heute wieder neu Hass und Hetze, tragen sie weiter in unsere Parlamente und auf unsere Straßen. Wir sind neu dazu aufgerufen, die andere Geschichte zu erzählen. Dass wir alle zusammengehören. Dass wir Diskriminierung und Zugangs-Barrieren zu Wohnungen, zu Arbeitsstellen abschaffen müssen. Dass jeder seine Religion leben darf und willkommen ist. Dass wir Verantwortung füreinander tragen und Solidarität brauchen – auch und gerade in der Pandemie. Dass Demokratie Geduld und Vertrauen braucht und Transparenz und Kontrolle durch unabhängige Medien. Wir dürfen uns nicht gegeneinander aufhetzen lassen. Von niemandem.

Ich möchte schließen mit einem Ausschnitt aus einem Gedicht von Selma Meerbaum-Eisinger. Sie starb 1942 mit 17 Jahren an Typhus im Arbeitslager Michailowska.

In ihrem Gedicht „Poem“ schreibt sie:

(…) Ich möchte leben.

Ich möchte lachen und Lasten heben

Und möchte kämpfen und lieben und hassen

Und möchte den Himmel mit Händen fassen

Und möchte frei sein und atmen und schrein.

Ich will nicht sterben. Nein!

Nein.

Das Leben ist rot.

Das Leben ist mein.

Mein und Dein. (…)

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