Dekanat Bergstraße

Angebote und Themen

Herzlich Willkommen! Entdecken Sie, welche Angebote des Dekanates Bergstraße zu Ihnen passen. Über das Kontaktformular sind wir offen für Ihre Anregungen.

AngeboteÜbersicht
Menümobile menu

Szenische Lesung am „Holocaust-Gedenktag“

Über die bewegende Geschichte von der Kraft einer Freundschaft

© Michael Ränker"Edith und Mina" - die Geschichte einer Freundschaft wurde aufgeschrieben, erzählt und gespielt von Jürgen Flügge.

Das Evangelische Dekanat Bergstraße und „Evangelisch in Heppenheim“ hatten am Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust in die Heilig-Geist-Kirche zu einer szenischen Lesung von und mit Jürgen Flügge eingeladen. „Edith und Mina“ erzählt „die Geschichte einer Freundschaft“.

Bildergalerie

„Ich habe mich nicht getraut, den Koffer aufzumachen, weil ich wusste, was drin ist.“ Jürgen Flügge sitzt auf einem Stuhl vor dem Altar der Heppenheimer Heilig-Geist-Kirche. Vor ihm auf einem alten Tisch liegt er, der Koffer von Mina, in dem sie Briefe und Postkarten aus der Zeit von 1934 bis in die 1950er-Jahre aufbewahrt hat - es ist die Korrespondenz mit ihrer jüdischen Freundin Edith, die vor den Nationalsozialisten fliehen musste.

Mina und Edith sind keine fiktiven Figuren, sondern real: Mina hieß mit bürgerlichem Namen Wilhelmina Lautenschläger, sie wuchs in Stockstadt am Rhein auf und war die Mutter von Jürgen Flügge. Edith wiederum war die Tochter der jüdischen Familie Westerfeld, die mit ihrer Schwester - und ohne ihre Eltern - im Jahre 1938 vor den Nazis in die USA floh. Mama Frieda und Papa Siegmund kamen nie nach, sie wurden von den Nazis ermordet.

Eine Insel der Verbundenheit

Das Evangelische Dekanat Bergstraße und „Evangelisch in Heppenheim“ hatten am Samstag aus Anlass des Internationalen Tages des Gedenkens an die Opfer des Holocaust in die Heilig-Geist-Kirche zu einer szenischen Lesung von und mit Jürgen Flügge eingeladen. Flügge, 1944 in Darmstadt geboren, berichtet in „Edith und Mina – die Geschichte einer Freundschaft“ über seine eigene Familiengeschichte: Seine Mutter Mina begann im Jahr 1931 im Alter von 15 Jahren bei der jüdischen Familie Westerfeld in Stockstadt als Dienstmädchen zu arbeiten. Von den Westerfelds wurde sie wie eine Tochter behandelt, für die beiden Mädchen der Familie war Mina wie eine große Schwester.

Nach dem Tod seiner Mutter Mina findet Jürgen Flügge den besagten Koffer. Er liest und recherchiert: Im Stockstädter Schwimmbad hatten Juden plötzlich keinen Zutritt mehr. Die Bauern, denen Ediths Familie Futtermittel verkaufte, hörten einfach auf zu bezahlen. Ediths Vater Siegmund wurde zusammengeschlagen, weil er das Horst-Wessel-Lied nicht mitsingen wollte. Mit ihrer Freundschaft schafften sich die Mädchen inmitten dieses schwierigen Alltags eine Insel, durch die sie später auch über den trennenden Atlantik hinweg miteinander verbunden blieben.

Lange anhaltender Beifall

Aus den Geschichten und Anekdoten aus dem Koffer hat Jürgen Flügge - Autor, Erzähler und Schauspieler - ein Einpersonenstück geformt. Am Samstagabend ließ er in bewegenden Worten, untermalt von Melodien aus den Dreißigerjahren und illustriert mit alten Familienbildern und Stockstädter Motiven, das Publikum an der Kraft einer Freundschaft mitten in der Zeit der Judenverfolgung teilhaben. Er widmete den Abend der Freundin seiner Mutter: Edith ist in diesen Tagen im Alter von 98 Jahren gestorben. Für die Inszenierung am Samstagabend in der Heilig-Geist-Kirche gab es lange anhaltenden Beifall.

Präses Ute Gölz, Vorsitzende des Dekanatssynodalvorstand des Evangelischen Dekanats Bergstraße, hatte die szenische Lesung „Edith und Mina“ vor zwei Jahren in ihrer Heimatgemeinde Wald-Michelbach erlebt und die Idee, die Inszenierung nun in die Kreisstadt Heppenheim, dem Sitz des Dekanats, zu holen. „Wir lernen aus der Geschichte, dass wir überhaupt nichts lernen“, zitierte Frau Gölz bei der Begrüßung des Publikums den deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Angesichts der aktuellen Entwicklungen frage sie sich am „Holocaust-Gedenktag“, „ob und was unsere Gesellschaft aus dem schlimmsten Kapitel deutscher Geschichte gelernt hat“.

Nach den Anschlägen der Hamas auf Israel „machten mich die Sympathiebekundungen und der offen gezeigte Antisemitismus auf unseren Straßen schier fassungslos“, so Ute Gölz: „Nie wieder sollten jüdische Mitbürger sich bei uns so bedroht fühlen müssen - Antisemitismus und Hassreden sind mit unserem Glauben unvereinbar.“ Hoffnung gebe ihr, dass die „schweigende Menge der Mitte der Gesellschaft endlich ihre Stimme erhebt“. So wie am Sonntag bei der Kundgebung gegen den Rechtsruck in Heppenheim.

Dekan Arno Kreh entließ das Publikum mit einem Segen, den der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch formuliert hat und der dem Hass die Liebe entgegensetzt.

Über Jürgen Flügge:

Nach dem Studium der Germanistik und der Theaterwissenschaften wirkte Jürgen Flügge in ganz Deutschland und der Schweiz an verschiedenen Bühnen als Regisseur und Dramaturg. 2001 gründete er das Hoftheater Tromm im Odenwald, an dem „Edith und Mina - die Geschichte einer Freundschaft“ im Jahr 2015 uraufgeführt wurde.

Diese Seite:Download PDFDrucken

to top