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Dissertation vorgestellt

Gleichstellung: EKHN war nicht immer auf der Überholspur

StenderVier Frauen, eine rechts mit Buch vor Wand mit Kreuz und BildernStellvertretende Kirchenpräsidentin Ulrike Scherf, Pfarrerin i. R. Ilse Staude, Prof. Gisa Bauer, Pfarrerin Jolanda Gräßel-Farnbauer

2021 feierte die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau 50 Jahre Gleichstellung von Frauen im Pfarrberuf. Die Dissertation von Jolanda Gräßel-Farnbauer untersucht, welche Entwicklungen dahin führten, dass Männer und Frauen im Pfarramt gleiche Rechte hatten. Am Freitag stellte die Theologin ihre druckfrische Arbeit im Gemeindezentrum Staufenberg einem interessierten Publikum vor.

„Die Gleichstellung der Frauen im Pfarramt. Der Weg zur geistlichen und rechtlichen Gleichheit von Theologinnen in Hessen und Nassau 1918 bis 1871“ ist der Titel des über 500 Seiten starken Werks, das erstmals dieses Thema wissenschaftlich fundiert betrachtet. Darin werden nicht nur umfassende Konvolute schriftlicher Quellen ausgewertet, sondern es kommen auch Zeitzeuginnen zu Wort, die aus der Berufspraxis berichteten. Eine davon ist Ilse Staude. Sie war viele Jahre Schulpfarrerin an der Theo-Koch-Schule in Grünberg und gehört als Bewohnerin von Staufenberg der Kirchengemeinde Kirchberg an. Für Jolanda Gräßel-Farnbauer ist es fast so etwas wie „Fügung“, dass Kirchberg die erste Kirchengemeinde der jungen Pfarrerin ist.

Neben Ilse Staude trug auch die Stellvertretende Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) Ulrike Scherf im Podiumsgespräch eigene Erfahrungen bei. Kirchenhistorikerin Prof. Gisa Bauer aus Köln moderierte das Podium, das Jolanda Gräßel-Farnbauer komplettierte. Gerade Ilse Staude sorgte mit ihren anekdotischen Beiträgen für Erstaunen und ungläubige Heiterkeit. So berichtete sie, dass man ihrem Mann Burkhard ihr Examenszeugnis habe überreichen wollen, der sie begleitet hatte. Besonders empört war Staude, die 1966 mit dem Theologiestudium begann, darüber, dass sie als Nachwuchstheologin in den Schreiben der Landeskirche mit „Liebe Brüder“ adressiert wurde. Ihr entschiedener Protest führte dazu, dass es dann „Sehr geehrte Frau Staude, liebe Brüder“ und schließlich „Liebe Schwestern und Brüder“ hieß.

Mit Ulrike Scherf betonte sie, dass die Akzeptanz von Frauen auf der Kanzel in den Landgemeinden größer war als in den großen Städten. „Die Menschen waren froh, dass jemand in ihre Gemeinde kam“, meinte Ulrike Scherf, die im Odenwald ihr Vikariat absolvierte. In der Stadt hätten vor allem die männlichen Kollegen Probleme mit der weiblichen Konkurrenz gehabt: "Das haben wir nicht nötig". Während zunächst nur unverheiratete Frauen ordiniert wurden und mit der Eheschließung aus dem Beruf ausscheiden mussten, gab es Ende der 1960er Jahre immer mehr Stimmen für eine Weiterbeschäftigung verheirateter Pfarrerinnen. Argument der Gegenseite: Man möchte keine schwangere Pfarrerin auf der Kanzel sehen. Deshalb sei es für sie eine besondere Genugtuung gewesen, schwanger zu predigen, so Ilse Staude.

Auch gegen die Gleichstellung beim Gehalt sei auf heute fragwürdige Weise argumentiert worden, erinnerten sich die Theologinnen. Ledige Männer müssten, weil sie ja keinen Haushalt führen könnten, mehr Geld für die Haushaltsführung aufwenden und müssten deshalb besser bezahlt werden. Auch der erste Kirchenpräsident der EKHN, Martin Niemöller, hatte seine Probleme mit der Gleichstellung und Gleichbehandlung der weiblichen Theologinnen und versuchte mit theologischen Darlegungen vergeblich die Synode 1948 von der Entscheidung für die Frauenordination abzubringen.

Heute ist die EKHN eine weibliche Kirche, nicht nur an der Basis, sondern auch in der Leitung. Seit Januar hat sie eine Kirchenpräsidentin, seit 2013 mit Ulrike Scherf eine stellvertretende Kirchenpräsidentin. Oberhessen hat mit Dr. Anke Spory eine Pröpstin und das Dekanat Gießener Land mit Barbara Lang und Sarah Kiefer eine Dekanin und eine stellvertretende Dekanin. Der Weg dahin führte über den Gleichstellungsbeschluss der Synode, mit dem 1971 Pfarrerinnen und Pfarrer die gleichen Rechte und die gleiche Bezahlung erhielten. Das ermöglichte den Frauen die Berufstätigkeit und den Aufstieg in höhere Ämter. Gleichzeitig erhielten die Männer die Möglichkeit, sich bei reduzierter Arbeitszeit auch Familienaufgaben zu widmen.

Von der ersten Theologiestudentin auf dem Gebiet der heutigen EKHN, die 1825 in Herborn ihr erstes Examen ablegte und die erste Theologin im Predigerseminar Herborn 1929 war es ein weiter Weg bis dahin. Diesen Weg mit seinen Hindernissen, Hürden und Absurditäten beleuchtete Jolanda Gräßel-Farnbauer in ihrem Vortrag vor der Podiumsrunde. In ihrer Arbeit hat sie herausgearbeitet, dass die Kirche mit ihren Beschlüssen oft auf gesellschaftliche und Entwicklungen reagierte. Häufig sei die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau dabei Vorreiterin unter den Landeskirchen gewesen, manchmal habe sie aber auch Beschlüsse übernommen, die andere Landeskirchen bereits beschlossen hätten.

Dass bei aller Fortschrittlichkeit, die die EKHN als ihre DANN ansehe, ihre Landeskirche bei der Frage der Gleichstellung nicht immer auf der Überholspur gewesen sei, hat auch Ulrike Scherf bei der Lektüre der Dissertation festgestellt. Alles in allem habe sich die Synode als reformwillig und reformfähig bewiesen und die Entwicklung maßgeblich gefördert. Für die Stellvertretende Kirchenpräsidentin ist Erinnerungsarbeit für die weitere Entwicklung der Kirche unbedingt nötig, weil damit Verletzungen und Schmerzliches verarbeitet werden.

Einigkeit herrschte in Staufenberg darüber, dass man mit der weiblichen EKHN sehr gut leben könne. Das betonten sowohl Kirchenvorsteher Klaus Felgenhauer bei seiner Begrüßung als auch Pfarrer Traugott Stein als Kollege von Pfarrerin Dr. Jolanda Gräßel-Farnbauer. Moderatorin Prof. Bauer erinnerte am Schluss des Podiumsgesprächs daran, dass es nach wie vor Kirchen, auch Landeskirchen in der EKD, gebe, in denen diese Entwicklung sehr kritisch gesehen werde, „da würde man eine Veranstaltung wie unsere als Genderwahn“ abtun. Und Ilse Staude verwies auf die katholischen Theologinnen, denen sie in nicht zu ferner Zukunft dieselben Rechte wie die männlichen Priester wünschte.

Übrigens interessierte sich auch die Lokalpolitik in Person von Bürgermeister Peter Gefeller und Stadtverordnetenvorsteher Rainer Mehler für das Thema. Nicht zuletzt wahrscheinlich deshalb, weil sie mit Ilse Staude auch eine kämpferische Grüne im Stadtparlament erleben durften. Zuletzt zu erwähnen sind Peter Hermann und Ina Faulenbach, die einem interessanten Abend eine elegante musikalische Note hinzufügten. Das Sahnehäubchen setzte schließlich das üppige Büffet, zu dem die Kirchengemeinde einlud.

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