Dekanat Bergstraße

Angebote und Themen

Herzlich Willkommen! Entdecken Sie, welche Angebote des Dekanates Bergstraße zu Ihnen passen. Über das Kontaktformular sind wir offen für Ihre Anregungen.

AngeboteÜbersicht
Menümobile menu

Das Geschenk des Glaubens

Von Dr. Philip Geck

Am Sonntag ist der 20. Juli. Jedes Jahr denke ich in dieser Zeit an das Stauffenberg-Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944. Der Tag war wichtig als Zeichen des Widerstandes. Er war zugleich ein Schicksalstag für die Widerständler und ihre Familien.

Vorstellen möchte ich heute den Juristen Helmuth James Graf von Moltke. Er saß zur Zeit des Attentats schon im Gefängnis. Denn er hatte für das Oberkommando der Wehrmacht gearbeitet und ein Netzwerk gegen das NS-Regime geknüpft. Auf seinem großen Gut im schlesischen Kreisau, ein paar Stunden von Berlin, hatte er Regimegegner versammelt. Am Attentat ist er nicht direkt beteiligt, und doch ist dessen Scheitern auch für ihn lebensgefährlich.

Den heißen Sommer 1944 verbringt er in seiner Gefängniszelle. Er ist in engem Austausch mit seiner Ehefrau Freya, die mit den Kindern daheim in Kreisau ist und das große Gut leitet. In seinen Briefen an Freya und in seinen Tagebüchern gibt Moltke Anteil an seinem Leben. Am 10. Juli 44 notiert er:

„Es war ein glühend heißer Tag, aber immerhin mit einem kleinen Luftzug, von dem man allerdings in der Zelle nichts bemerkte. Nachmittags habe ich mit großem Genuss gekühlten Kaffee getrunken und dann einen Brief von Freya gelesen.“

Moltke sehnt sich nach seinem Gut in Kreisau. Dort stehen die Felder im vollen Korn. Moltke sieht im Geist die Erntewagen vor sich, die ihre meterhohe Fracht, Heuballen und Getreide, in die Scheunen bringen. Moltke sehnt sich nach seinem Zuhause. Er lebt aus diesen Bildern und Erinnerungen. Und er lebt von seiner Lektüre. Jeden Abend hält er fest, was er alles gelesen hat – Fachliteratur, Romane, Immanuel Kant, biblische Bücher. Die Bibel liest er sogar vollständig durch, und zwar mehrmals. Die Worte der Schrift sind für ihn Lebensmittel, Mittel zum Leben und Überleben:

„Gestern habe ich erst einige Kapitel aus Nehemia gelesen, ferner die Bergpredigt, einige Kapitel aus Mose und einige Psalmen.“ (10.7.44)

„Der Tag war wieder sehr heiß, die Nacht schwül, sodass ich bis weit nach 12 las und danach auch nicht zu gut schlief. Aber abends war ein zauberhaft schöner Mond“ (7.7.44)

„Ich habe den ganzen Tag gefastet“

Der 20. Juli verläuft chaotisch, im Radio hören alle, dass ein Attentat auf Hitler geschehen ist – aber niemand weiß, ob es geglückt ist. So geht es hin und her, den ganzen Tag. Nach Mitternacht meldet sich Hitler mit einer Rundfunkansprache. Er inszeniert seine Wiederauferstehung. In Moltkes Tagebuch sind kaum Spuren von diesem Tag zu finden, nur die Notiz, dass viele neue Gefangene eingeliefert worden sind. Am 12. August dann der beiläufige Satz: „Ich habe den ganzen Tag gefastet“. Am nächsten Tag schreibt er gar nichts – höchst ungewöhnlich. Moltke ist unruhig. Er weiß, dass nach dem 20. Juli nichts mehr ist wie zuvor. Auch er ist jetzt in akuter Lebensgefahr.

Moltke fängt sich, er beginnt wieder mit seinen Lektüren und Routinen. Ein wichtiges Ritual beginnt jeden Abend um 10 Uhr. In der Nähe seiner Zelle sitzt eine Sängerin ein, die Kabarettistin Isa Vermehren. Moltke ermutigt sie, zu singen. Wenn es abends still wird in den Gängen, dann singt sie aus ihrer Zelle für die anderen Gefangenen – lustige italienische Volkslieder aus Mozartopern, evangelische Kirchenlieder, „Der Mond ist aufgegangen“, gregorianische Lobgesänge.

Was kein Mensch antasten kann

Getrennt von seiner Frau und seinen Kindern, abgeschnitten von seiner Zukunft, lebt Moltke aus Quellen, die seine Feinde nicht antasten können. Diese Quellen sind ganz irdisch – Erinnerungen, die er wie einen Schatz in sich trägt; kühler Kaffee; Musik. Zugleich sind diese Quellen nicht von dieser Welt. Sie sind gegründet in der Hoffnung auf einen Gott, der Gerechtigkeit bringen wird – diesseits oder jenseits des eigenen Lebenshorizontes. Moltke vertraut darauf, dass der Schöpfer des Himmels und der Erde, der auferstandene Jesus Christus, die Dinge geraderücken wird.

Niemandem ist so ein schweres Los zu wünschen. Vor allem die Angehörigen der Widerstandskämpfer hatten schwer unter dem Schicksal zu tragen – sie waren es, die mit dem Verlust leben mussten. Aber jedem ist solch ein geerdeter und integrer Glaube zu wünschen, wie er Helmut James von Moltke in der Zeit der Not geschenkt worden ist.

Der Autor Dr. Philip Geck ist Pfarrer der Evangelischen Michaelsgemeinde Bensheim.

Diese Seite:Download PDFDrucken

to top