Dekanat Bergstraße

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Persönliche Annäherungen

Corona und Glaube

Der persönliche Segen war eine Selbstverständlichkeit in der Kirche. Jetzt gilt: Vereinsamung um der Gemeinschaft willen.

Plötzlich ist alles anders. Die Corona-Pandemie hat unser alltägliches Leben geändert. Was heißt das für den Glauben? Theologische Überlegungen von Stephan Krebs

EKHNPfarrer Stephan Krebs ist Leiter der Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit der EKHN

Ich reibe mir die Augen – nein: Das soll ich ja nicht, wegen der Ansteckungsgefahr. Aber ich muss es – zumindest mein geistiges Auge, denn wir erleben, wie unser Alltag im Stundentakt immer weiter aus den Fugen gerät. Pläne, die zum Teil langfristig und bedeutsam sind, fallen in sich zusammen. Auf manche wie ein Konzert oder einen Urlaub hat man sich monatelang gefreut. Manche wie runde Geburtstage, Hochzeiten und Konfirmationen – sind einmalig und damit unwiederbringlich. Verloren!

Alltägliche Gewohnheiten wie das Begrüßen muss man um-trainieren. Dinge wie die Leidenschaft für den Fußball, die für manche wirklich wichtig sind, ja vielleicht sogar ein Stück ihrer Identität ausmachen, soll man von jetzt auf gleich aufgeben. Und niemand weiß, wie lange.

Paradox 1: Vereinsamung um der Gemeinschaft willen

Die Ansage aus Medizin, Politik, Kultur und nun auch aus den Kirchen lautet: Vereinzelung, wo immer es geht. Als Christ und Kirchenengagierter fällt es mir schwer das zu akzeptieren.

In der Kirche liegt uns daran, Menschen zusammenzubringen. Wir möchten einander in der Gemeinschaft stärken – durch das Hören auf Gottes Wort, durch gemeinsamen Gesang und Gebet, durch Gespräche miteinander und indem wir aneinander Anteil nehmen und uns gegenseitig unterstützen. Nun sollen wir scheinbar das Gegenteil tun: Vereinzelung. Jetzt ist es geboten, Abstand voneinander zu halten, obwohl man doch gerade in solchen Zeiten schützende und anteilnehmende Gemeinschaft braucht. Aber – und das ist das Paradox – gerade um dieser Gemeinschaft willen geht es jetzt darum einander durch Abstand zu schützen. Abstand halten ist gemeinschaftliches Handeln, mit dem wir uns umeinander sorgen.

In den Zeiten des Abstands voneinander haben wir nun neue Formen zu suchen und zu pflegen, in denen wir miteinander Halt und Kraft im Evangelium finden. Nächstenliebe ist und bleibt unser Maßstab.

Paradox 2: Feindlich verbunden in der Weltgemeinschaft

Ein winziges Virus, für das bloße Auge unsichtbar, verändert unsere Sicht auf die Welt. Menschen werden einander feind, weil sie sich gegenseitig damit anstecken können. Länder – auch innerhalb der EU - schließen ihre Grenzen, weil sie dadurch die Corona-Gefahr bannen oder zumindest verlangsamen wollen. Zugleich schafft das Coronaviurs eine weltweite Gemeinschaft der Pandemie. In China stecken sich ein paar Menschen an Wildtieren an (wenn denn das so stimmt) und ein paar Monate später erstirbt in Europa das gesellschaftliche Leben und die Weltwirtschaft geht auf Talfahrt! Deutlicher kann man nicht machen: Wir leben in einer Welt, wir sind eine globale Schicksalsgemeinschaft. Ob das künftig helfen wird, wenn es darum geht die globalen ökologischen Gefahren zu bannen? Unwillkürlich denkt man an das Bild des Apostels Paulus von dem einen Leib mit seinen vielen Gliedern. “, so schreibt es Paulus. (1.Korinther 12) Der Leib Christi spannt sich um die ganze Welt.

Kontrollverlust, mühsamer Alltag – Conditio Jakobea

Wir erleben als Gesellschaft und als Individuen, wie in wenigen Wochen ein geregelter Alltag durch eine Infektionsgefahr durcheinander gerät: Leben ist nicht so sicher, wie es scheint. Darin zeigt sich eine andere, geschöpfliche Facette des Satzes: „Wir leben von Voraussetzungen, die wir selbst nicht schaffen können.“ (Böckenförde) Die aktuelle Situation bietet die Chance besser zu verstehen, wie sich die Menschen früher gefühlt haben müssen. Sie hatten ja mit noch viel mehr Gefahren und Unwägbarkeiten zu rechnen. Und sie hatten ihnen viel weniger Medizin und Planungssicherheit entgegen zu setzen. Deshalb stellte sich den Menschen frühere Jahrhunderte auch die Frage nach Gott anders, vielleicht intensiver, jedenfalls existenzieller. Glauben bannt die Gefahren zwar nicht, aber zumindest ist er ein Strohhalm, ein Anknüpfungspunkt für Hoffnung.

Früher haben viele Menschen unter ihre Pläne gerne zwei Buchstaben gesetzt: C.J. Diese Abkürzung steht für Conditio Jacobea. Zu Deutsch: Die Bedingung des Jakobus. Das CJ geht auf den biblischen Brief des Jakobus zurück. Der Briefschreiber warnt vor allzu großer Selbstsicherheit und schließt sie ab mit der Bemerkung: „So Gott will und wir leben.“ (Jakobus 4,15) Das ist die Conditio Jacobea: eine demütige Einschränkung aller Pläne. Inzwischen ist dieses CJ weithin aus der Mode gekommen, denn die Menschen haben sich zumindest in unserem Bereich der Welt ein Leben erkämpft, das relativ verlässlich ist. Viele Gefahren lassen sich heute bannen, vieles lässt sich tatsächlich planen und funktioniert dann auch. Zumindest war das vor Corona so. Nun sieht die Welt anders aus. CJ.

Bedeutung der analogen Welt, der Geschöpflichkeit

Abstand halten, Kontakt vermeiden, alleine bleiben – zum Glück gibt es Medien, Computer. Damit kann man seine Zeit verbringen. Damit kann man Kontakt halten – mit der Welt und mit seinen Lieben. Gut, dass es das gibt. Aber es ist nicht genug. Corona macht neu bewusst, wie wichtig neben den virtuellen Weiten die analoge Wirklichkeit ist. Wir brauchen Nähe: Nähe: Händeschütteln, jemanden umarmen, küssen, auf die Schulter tippen. Dies gibt es in der digitalen Welt nicht, sondern nur in der analogen Welt. Diese Welt voller haptischer Erlebnisse macht uns unsere Geschöpflichkeit neu bewusst. Wir sind Geschöpfe, Geschöpfe Gottes.

Dazu gehört auch das Neuerleben des eigenen Körpers: Bedroht, hoffentlich stark. Bei Infektion macht sich darin der Feind breit. Man muss die Viren im eigenen Körper dulden. Das macht den eigenen Körper fremd und rückt ihn zugleich in den Fokus. Man erfährt den Wert des eigenen Körpers als Träger des Lebens intensiver. Einheit von Körper-Seele-Geist.

Prinzip Solidarität und Nächstenliebe

Der eigene Körper kann für andere zu einer Gefahr werden. Infizierte könnten ihn wie eine Waffe gegen andere einsetzen. Phantasien des Bösen: Wen würde ich gerne anstecken? Der Glaube setzt ein klares Mandat zur Verantwortung für andere Menschen. Das schafft eine neue mitmenschliche Verbundenheit, auch Fremden gegenüber. Egoistisch wäre die Haltung: „Ich bin gesund, ich bin stark, ich brauche mich vor einer Ansteckung nicht zu fürchten, denn die stehe ich locker durch.“ Solidarität und Verantwortung drängen darauf, vorsichtig zu sein und sich zu schützen, um damit die Menschen mit erhöhtem Risiko zu schützen. Ihr Krankheitsverlauf ist bedrohlich, sie sind darauf angewiesen, dass ihnen das Gesundheitssystem helfen kann. Ein Dienst an diesen Menschen ist es, jetzt achtsam sein, sich einzuschränken und damit die Ausbreitung mit zu verlangsamen. Das gibt dem eigenen Verzicht und der Vorsicht etwas Edles, ein handfestes Stück Nächstenliebe. „In Demut achte eine den anderen höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das seine, sondern auf das, was dem andern dient.“ (Philipper 2,3)

Konkrete Hilfsbereitschaft

Betroffene in Quarantäne erleben oft unverhoffte Hilfsbereitschaft durch Familie, Freunde, Kolleg*innen und Nachbarn. Sie bringen wichtige Dinge. In der Not zeigen sie ihr gutes Herz, Mitmenschlichkeit, auch das ist ein Zeugnis der Nächstenliebe. Eine Chance für Menschenverächter und Kulturpessimisten zu sehen, was in uns Menschen an Gutem steckt.

Warum ich?

Wer besonders stark betroffen, ärgert sich und fragt: „Warum hat es ausgerechnet mich getroffen? Warum, Gott, ausgerechnet ich?“ - die Theodizee-Frage.

Nichtstun als Sinnverlust

(Viel-) Beschäftigte wünschen sich oft, morgens einfach zuhause bleiben zu können, statt zur Arbeit zu fahren. Das wird für viele, die unter Quarantäne stehen, jetzt wahr. Betroffene merken dabei aber schnell, wie wichtig es ist, eine Arbeit zu haben, einen Grund zu haben das Haus zu verlassen, Kolleg*innen zu treffen und etwas Sinnvolles zu tun. Man spürt dabei an sich selbst: Arbeitslos sein ist nicht Frei haben, sondern nutzlos sein. Zum Sinn des eigenen Lebens tragen die Gemeinschaft mit anderen Menschen und das Tätig-Sein erheblich bei. Doch wir Christ*innen wissen: Das ist nicht alles. Gott gibt jedem Menschen einen unverrückbaren Sinn.

Nichtstun als Chance

Plötzlich Zeit – reihenweise werden Termine abgesagt, der Terminkalender leert sich. „Absage“ ist sicher das Wort der Woche. Was machen wir mit dieser unverhofft und ungewollt freien Zeit? Gewiss, manches wird dadurch mühsamer und braucht mehr Zeit. Aber es bleibt etwas übrig. Eine Chance sich anders zu erleben, sich mit etwas zu beschäftigen, was bislang zu kurz kam. Eine Chance zu geistlicher Besinnung – auf was? Eine kleine Entdeckungsreise wäre nun möglich. Die wird vermutlich nicht nur angenehm sein. Denn wenn Zeit ist, kommen vielleicht Dinge zutage, die man gerne vergessen gelassen hätte. Aber auch diese Dinge sind es wert betrachtet zu werden. Nun ist auch endlich Zeit, um sich über Schönes zu freuen. Es ist Zeit intensiver zu leben.

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